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Hirte oder Supermann?

Warum die Zeit der Rampenlicht-Führungshelden vorbei ist

Welche Fähigkeiten und Eigenschaften Führungskräfte mitbringen sollten, darüber existieren unzählige Thesen und Bücher. Aber wer und wie sind sie eigentlich wirklich, die Führungskräfte von heute? Wie müssen sie sein, um den Anforderungen der neuen Zeit gerecht zu werden? Was mit Sicherheit nicht mehr gefragt ist, sind laute und allmächtige Alleinherrscher. Stattdessen setzt der Selbstmanagement-Experte und Führungskräfte-Coach Richard Gappmayer auf den neuen Führungs-Hirten!

Veränderungen prasseln mit zunehmender Geschwindigkeit auf die Unternehmenswelten ein. Globalisierung, demografischer Wandel und die neuen Medien sorgen für immer komplexere Umstände. Dies stellt vor allem Führungskräfte vor ganz neue Herausforderungen. Auch und vor allem betreffend ihre eigene Fortbildung.

Ein Leben lang gehört das regelmäßige Trainieren und „Sich-Entwickeln“ auf den Stundenplan jeder erfolgreichen Führungskraft. Aber wie genau sieht dieses Lernen aus? In welche Richtung bewegt sich die erfolgreiche Führungskraft der neuen Zeit wirklich? Welche Attribute benötigt sie, welche Werte zeichnen sie aus?

Abgang der Supermänner

Eines zeigt sich mehr und mehr: All die neuen, vielschichtigen Herausforderungen lassen sich eindeutig besser im Team als durch einen strahlenden Einzelkämpfer à la Superman lösen. Um ein Team verantwortungsvoll, mit Freude erfolgreich zu leiten, müssen Führungskräfte einen Führungsstil entwickeln, bei dem der Mensch im Vordergrund steht. Das ist nicht neu und wird landauf wie landab gepredigt.
Wird dies jedoch unternehmensintern auch gelebt und umgesetzt? Die Erfahrung zeigt: Äußerst selten. Ein klassischer Fall von: Alle wissen es, keiner tut es. Was wir heute brauchen, ist ein Führungsstil, der die Menschen individuell in die Unternehmen einbindet, ein Stil, der gemeinschaftlich orientiert ist.

»Was wir heute brauchen, ist ein Führungsstil, der die Menschen individuell in die Unternehmen einbindet, ein Stil, der gemeinschaftlich orientiert ist.«

Lange Zeit galt die Extrovertiertheit als gute Grundvoraussetzung einer Führungskraft. Heute jedoch steht das Steuern zwischenmenschlicher Prozesse im Fokus. Der „Mensch“ Mitarbeiter hat die „Ressource“ Mitarbeiter Gott sei Dank abgelöst. Führungskräfte, die das noch nicht verinnerlichen, haben heute weitgehend ausgedient. Leider aber trifft man sie in den Unternehmen immer noch an. Als willensstarke Tonangeber, bestimmende Leithammel und übermächtige Alleinherrscher fegen sie durch die Korridore und verkünden ihre heiligen Botschaften vom hohen Führungsthron aus. Gnadenlos versuchen sie, ihre Mitarbeiter widerspruchslos auf den einzig möglichen, nämlich ihren Kurs, einzuschwören. Schluss damit! Diese Supermänner der Führung sollten sich rasch ändern oder in Richtung Ausgang bewegen. Sie haben im heutigen Führungsalltag einfach keinen Platz mehr.

Insignien der Macht abzugeben, tut weh

Wie rasch kann aus einem stolzen und unabhängigen Herrscher ein echter Teamplayer werden? Über Nacht wird das sicher nicht funktionieren. Diese Aufgabe ist ein wahrer Kilimandscharo, der erst einmal bezwungen werden will. Denn die Wandlung zum Teamplayer ist ein für diese Führungspersönlichkeiten meist sehr schmerzhafter Prozess. Sie müssen Macht und Status, wie sie bisher gelebt wurden, abgeben. Und das tut einfach weh. Für viele ist dieser Schritt zu drastisch. Die lähmende Angst vor dem anstehenden Machtverlust zu hoch. Dass sie im Rahmen dieses Prozesses eine ganz andere, viel positivere, breitere Macht erhalten würden, das ist den Rampenlicht-Führungshelden des alten Schlags in diesem Moment noch nicht klar.
Dabei geht es doch nur um eines: Statt mit allen Mitteln die Macht zu halten, muss diese Macht freudvoll geteilt werden. Denn nur wenn wir etwas teilen, kann es sich ausbreiten und vermehren. Doch um Macht zu teilen, ist wahre Größe erforderlich. Die Größe, auch mal in der Kulisse zu bleiben und nicht ständig von der Bühne aus zu agieren.

Heute gilt mehr denn je: Einflussreich sind nicht immer diejenigen, die stets laut und demonstrativ sichtbar vorangehen. Sondern vielmehr jene, die die feine Kunst beherrschen, im Hintergrund ihre Fäden zu ziehen. Strategisch und zielorientiert. Sie sehen alles, aber sind nicht immer übermäßig sichtbar. Die Hirten.

Auftritt der Hirten

Einer, der diese Art der Führung perfekt verstand, war Nelson Mandela. In seiner Biographie zitiert er den Führer seines Stammes: „Eine Führungskraft ist wie ein Hirte. Er bleibt hinter der Herde. Er lässt die Geschicktesten vorangehen, denen die anderen folgen. Dabei merken sie gar nicht, dass sie die ganze Zeit aus dem Hintergrund gelenkt werden.“

Genau diese Art von Hirten brauchen die Unternehmen der Zukunft dringend. Nämlich Führungskräfte, die eine Umgebung schaffen, in der die Mitarbeiter bereit und fähig sind, selber Führungsaufgaben und Verantwortung zu übernehmen. Der Hirte hinter seiner Herde – oder eben die Führungskraft hinter ihrem Team – betrachtet gelungene und freudvolle Führung immer als Gemeinschaftsaufgabe, der sich alle mit Hingabe widmen. Nun stellt sich die Frage: Was zeichnet Hirten aus? Wie agieren sie im Führungsalltag?

Was machen Hirten anders?

Wahre Führungshirten zeichnen sich unter anderem durch zwei Werte aus: Demut und Bescheidenheit. Und das hat absolut nichts mit Schwäche zu tun. Führungshirten wissen immer, wann sie die Beobachterrolle verlassen und in eine machtvollere Position schlüpfen müssen. Wenn es die Situation erfordert, sind sie sofort da. Voll und ganz. Mit ihrer gesamten Kraft. Vor allem aber haben sie die Fähigkeit, außergewöhnliches Potenzial in „gewöhnlichen“ Menschen zu erkennen und zu fördern. Abhängig von den individuellen Stärken und Geschicklichkeiten im Team lassen sie verschiedene Mitarbeiter zu unterschiedlichen Zeitpunkten in den beruflichen Vordergrund treten. Sie wissen: jede Situation erfordert spezielles Wissen und individuelle Fertigkeiten eines jeweils anderen Experten. Geschickt verbinden erfahrene Führungshirten diese Expertisen miteinander und sorgen für ein harmonisches und erfolgreiches Gesamtergebnis. Außerdem können sie Entscheidungen im totalen Gleichgewicht zwischen Idealismus und Pragmatismus treffen. So eine Hirten-Tätigkeit ist schwerste Arbeit und kein luftiges Führungsabenteuer. Toughe Persönlichkeiten sind gefragt. Als Führungskraft Hirte zu sein, heißt nicht, auf der faulen Haut zu liegen und die anderen machen zu lassen. Hirten sind voll gefordert. Sie entscheiden, wer im Team welchen Platz erhält, formulieren und vermitteln die Werte, erkennen und fördern Talente. Nur so stellen sie das Aufblühen und über sich Hinauswachsen der Teammitglieder in deren diversen Rollen sicher.

»Das Führungsprinzip à la Hirte hat einen weiteren Vorteil: Es sorgt für absolute Wendigkeit im Team. Mitarbeiter, die von echten Könnern unter den Hirten geführt werden, warten niemals auf Befehle von oben. Sie agieren eigenständig und proaktiv auf die jeweilige Situation.«

Bewegliche „Herde“, stetige Erfolge

Das Führungsprinzip à la Hirte hat einen weiteren Vorteil: Es sorgt für absolute Wendigkeit im Team. Mitarbeiter, die von echten Könnern unter den Hirten geführt werden, warten niemals auf Befehle von oben. Sie agieren eigenständig und proaktiv auf die jeweilige Situation. Diese Beweglichkeit kann jedoch nur entstehen, wenn die Führungskraft die kollektive Führung zulässt, wünscht und das Terrain entsprechend vorbereitet. Kollektive Führung bedeutet dabei nicht, Verantwortung abzugeben oder ganz abzuschaffen. Ganz im Gegenteil, der Hirte ist final verantwortlich für das Zusammenbleiben seiner Herde. Verantwortlich dafür, mit seinem Team den richtigen Weg zu wählen und auf diesem zu bleiben. Er wird die Herde auch hin und wieder leicht anstoßen müssen, wenn sie vom Weg abkommt oder auf Gefahren zuläuft.

An die Spitze, seitwärts und zurück

Zur Klarstellung: Hirten als Führungskräfte entscheiden sich ganz bewusst für eine Führung aus dem Hintergrund. Trotzdem: Für eine gute Führungskraft im Sinne des Hirtenprinzips ist es nicht immer möglich, ausschließlich aus dem Hintergrund zu steuern. Der führungstechnisch begabte Hirte muss auch einem direkten Führen an der Spitze gewachsen sein. Speziell in Krisenzeiten. Dann hat die Führungskraft wendig und flexibel ihren Platz zu wechseln, ganz nach vorne zu treten, an die Spitze, und den Weg von hier aus zu weisen. Richtige Hirten können auch von der vordersten Front sehr raffiniert die weiteren Geschicke leiten. Sie bewegen sich mit Grandezza von hinten an die Spitze, verweilen ein wenig an der Seite „ihrer“ Herde und ziehen sich dann wieder beobachtend an die hintere Linie zurück.

Hirten braucht das Land

Es ist eindeutig: Die unternehmerischen Landschaften brauchen den Hirten-Führungscharakter. Leider werden Menschen, die sich für diesen neuen Führungsstil entschieden haben, oft übersehen. Auch in den Top-Führungskräfteprogrammen suchen wir auf den Prioritätenlisten Eigenschaften wie Demut oder die Fähigkeit, Macht zu teilen noch vergeblich. Heute total zu vernachlässigende Eigenschaften wie ein ständiges Ergreifen der Initiative in Meetings oder mit Wissen Auftrumpfen in Gesprächen werden fälschlicherweise immer noch als passende Indizien einer Führungskraft mit Potenzial gesehen. Diese Situation ruft nach einem klaren Wechsel von Gedanken und Taten. Deswegen die direkte Frage an Sie: Wie viele Hirten gibt es bereits in Ihrem Unternehmen?

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