Diese Krise ist ein Schock der besonderen Art, wie wir alle ihn noch nicht erlebt haben. Bei meinen Freunden, Familienmitgliedern und Mitarbeitern in den Unternehmen, die ich berate, habe ich ganz unterschiedliche Reaktionen beobachten können. Einige Menschen hatten mit der Krise heftig zu kämpfen. Andere haben genau das gemacht, was ihnen geraten wurde. Und eine dritte Gruppe wollte, dass die anderen sich einfach nur mal beruhigen und wieder zum „business as usual“ zurückkehren.
Unternehmen, die derzeit eine langsame Rückkehr zu normalen Lebens- und Arbeitsroutinen bewältigen, sollten auch verstehen und anerkennen, dass ihre Mitarbeiter unterschiedliche Arten von Unterstützung benötigen. Jetzt ist sicher nicht der Zeitpunkt, um das Richtlinienhandbuch zu überprüfen und alle mit Botschaften oder sogar Gebeten zu überfluten. Es ist eine Zeit, in der jeder Einzelne in seiner besonderen Trauer unterstützt werden sollte. Diese Trauer zu benennen ist ein wirksames Mittel, besorgte KollegInnen wieder in die Normalität zurückzuführen.
Ich sprach mit den Menschen auch über die kollektive Angst vor dem Kontrollverlust, dem radikalen Wandel in unserer Lebensweise, die vorweggenommene Trauer, die wir empfanden, wenn wir uns den künftigen Verlust von Arbeitsplätzen und möglicherweise den Tod von geliebten Menschen vorstellten.
In den Unternehmen gibt es derzeit viele trauernde Menschen – zum Beispiel: Verlust eines geliebten Menschen oder ein schwer Erkrankter, Lohneinbußen, Corona-Depression, uvm. Dazu stellt sich folgende wichtige Frage: Wie werden Unternehmen ihre Mitarbeiter behandeln, wenn sich die Arbeit wieder normalisiert? Was haben wir gelernt? Es geht nicht vordergründig darum, zu fragen, wie können wir die verlorene Zeit und die nicht gemachten Umsätze wieder aufholen. Nein, du solltest als Chef oder Führungskraft deine Mitarbeiter fragen: „Wie geht es dir? Wie kann ich dich unterstützen?“ Denn Engagement wird von ganz oben gelehrt!
Die Trauer wird spürbar und immer noch allgegenwärtig sein, wenn die Menschen wieder in ihren Büros arbeiten. Sie betrifft auch diejenigen, die während der Krise am Arbeitsplatz geblieben sind und nun wieder beginnen, mit den Rückkehrern zu interagieren. Nicht alle werden in diesem Prozess zur gleichen Zeit im gleichen Stadium sein. Angestellte, Führungskräfte, Manager und Organisationen müssen dies erkennen. Wenn Menschen ungewöhnlich wütend erscheinen, sollten wir ihnen Raum geben und Geduld üben. Sie trauern. Auch jemand, der Pandemiestatistiken infrage stellt, kann sich im Stadium der Leugnung und damit der Trauer befinden.
Hier ist es speziell wichtig, den Menschen in diesen Phasen Raum zu geben – und sie dies auch klar spüren zu lassen. Eine Besonderheit des modernen Lebens ist es, dass wir Gefühle über unsere Gefühle haben. Wir können zum Beispiel Traurigkeit empfinden, uns selbst aber einreden, dass wir nicht traurig sein sollten, weil andere noch mehr gelitten haben. Wir verfahren so mit vielen Gefühlen, doch letztendlich funktioniert das nie.
Nur wenn du dir erlaubst, die einzelnen Phasen der Trauer zu erleben und Dich von deinen tiefsten Gefühlen durchdringen lässt, wirst du zur Akzeptanz finden. Dort liegt die Kraft. In der Akzeptanz gewinnen wir die Kontrolle zurück, weil wir nicht mehr gegen die Wahrheit ankämpfen.

Führungskräfte sollten dabei drei Gruppen von Menschen im Blick haben, die zusammenarbeiten und die alle trauern.
An erster Stelle stehen die Besorgten. Sie sind gesund. Sie haben keine Krankheit in ihrem Umfeld erlebt, aber sie machen sich Gedanken. Vielleicht trauern sie immer noch um den Verlust von Arbeit, Normalität, Chancen und Ereignissen. Arbeitsprojekte, für die sie sich leidenschaftlich eingesetzt haben und die im Sande verliefen, Hochzeiten, Feiertagseinladungen, Urlaube und Reisen, die nicht stattfanden. Das sind legitime Verluste, die Trauer erzeugen.
An zweiter Stelle stehen die Betroffenen, die selbst krank waren oder jemanden kennen, der krank war, aber genesen ist oder genesen wird. Diese Menschen haben sich ein Trauma nicht nur eigebildet – sie haben es erlebt. Sie profitieren von Entgegenkommen und Bestätigung. Einige von ihnen brauchen vielleicht auch eine Beratung oder andere Hilfsangebote.
Die dritte Gruppe besteht aus den Hinterbliebenen, die einen geliebten Menschen verloren haben, einen Todesfall betrauern und sich direkt mit den Phasen des Trauerns befassen werden. Für viele von ihnen wird Akzeptanz noch weit entfernt liegen.
Allein die Anerkennung dieser drei Gruppen und angepasste Hilfestellungen speziell für jede einzelne werden einen großen Beitrag zur Heilung der Betroffenen leisten. Es hilft auch, den MitarbeiterInnen bewusst zu machen, dass es diese verschiedenen Gruppen gibt – mit unterschiedlichen Erfahrungen. Das sensibilisiert und verhindert, dass zum Beispiel ein Mitarbeiter der ersten Gruppe, der die Pandemie leugnet, zu einem Kranken oder Hinterbliebenen sagt: „Wir mussten ein paar Monate von zu Hause aus arbeiten – na und?“
Am Arbeitsplatz geht es oft um die Frage, wie sich Arbeitnehmer engagieren. Jetzt, durch die Rückkehr an den Arbeitsplatz, haben Unternehmen die Möglichkeit, sich für trauernde Arbeitnehmer zu engagieren. DAS motiviert und verbindet Menschen – nicht ihre Vergütungen oder gemeinsame Projekte. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden sich immer daran erinnern, dass sich jemand um sie gekümmert hat und werden nicht vergessen, wer das war.
Ich spreche nicht davon, in einem schrecklichen Ereignis einen Sinn zu finden. Es geht vielmehr um das, was man selbst darin findet und darum, was man danach macht. Natürlich erscheint das nicht den Preis eines Verlustes wert. Das wird es auch niemals wert sein. Aber dem Verlust eine Bedeutung zu geben, kann diese schmerzhaften Erinnerungen heilen und uns helfen, weiterzumachen.
Erkenne, dass dein Verlust kein Test ist. Wenn wir uns mit Verlust auseinandersetzen, neigen wir dazu, zu denken, dass unsere Stärke und unsere Fähigkeit, der Trauer zu entfliehen, auf eine Probe gestellt wird. Doch ein Verlust passiert einfach. Es gibt keinen Test, es gibt nur Trauer. Die Akzeptanz zeigt sich darin, wie wir danach damit umgehen.
Ich vermute, dass wir in der Pandemie schneller eine Akzeptanz finden werden als in vielen anderen Verlusten – denn wir alle stecken über einen langen Zeitraum in dieser Situation. Ich habe für mich bereits eine Akzeptanz gefunden. Das Schreiben von Artikeln wie diesem hier trägt für mich unter anderem dazu bei, Akzeptanz zu schaffen.
Lohnt es sich, eine Pandemie zu erleben? Ganz und gar nicht. Aber diese Erfahrung ist heilsam. Das bedeutet nicht, dass wir vergessen oder dass kein Schaden entstanden ist. Es zeigt vielmehr, dass der Schaden unser Leben nicht mehr kontrolliert. Wenn wir anerkennen, dass in dieser Krise für uns und andere etwas geschehen ist, passiert Heilung. Und wir kommen mit unserer Trauer voran.

Ich hoffe aufrichtig, dass du bald für dich eine Bedeutung in dieser Pandemie erkennst – oder schon heute erkannt hast. Ich hoffe auch, dass Unternehmen zu einem Ort werden, an dem Menschen Bedeutung finden und sich gegenseitig unterstützen. Ich hoffe, dass Unternehmer, Führungskräfte und Manager sich dort um ihre MitarbeiterInnen kümmern und ihnen erlauben, angemessen und in ihrem eigenen Tempo zu trauern.
Die Pandemie ist eine Phase in unserem Leben – sie wird enden! Sie wird als eine außerordentlich schwierige Zeit in Erinnerung bleiben. Die langsame Rückkehr zu einer neuen Normalität wird aber weitergehen – und damit der Prozess, unsere Trauer beim Namen zu nennen und uns gegenseitig dabei zu helfen, Akzeptanz zu finden.