Was bedeutet Achtsamkeit für Sie? Richard Gappmayer, einer der gefragtesten Wirtschaftscoaches und Selbstführungsexperten im deutschsprachigen Raum, weiß: Ein Erfolgsrezept muss immer ganzheitlich sein. Das gilt auch für die Führungskompetenz in der Wirtschaft von heute. Die Philosophie des Shaolin beispielsweise hat wesentlich mehr mit unternehmerischem Erfolg zu tun, als viele meinen. Im ersten Teil des Interviews mit Richard Gappmayer lag der Fokus insbesondere auf die Bedeutung wahrer Achtsamkeit. Darauf aufbauen geht es nun im zweiten Teil des Gesprächs um die konkrete Umsetzung des Gelernten und um handfeste Tipps, die insbesondere für Führungskräfte wertvoll sind.
Selbstführung und Achtsamkeit gehören gerade im Unternehmen unmittelbar zusammen – Interview mit Richard Gappmayer
Herr Gappmayer, eine weitere Ihrer Säulen fürs Leben im Rahmen Ihres Konzepts ist Willenskraft. Wie können wir diszipliniert sein und bleiben, ohne den alltäglichen Versuchungen zu erliegen? Und was ist das Ergebnis, wenn wir es schaffen, diszipliniert zu sein?
Die Shaolin fokussieren sich niemals auf die Ernte, sondern darauf, den Garten zu kultivieren. Denn ist man beim Umgraben, Säen und Pflanzen, beim Unkrautjäten und Bewässern vollkommen im gegenwärtigen Moment und ganz bei sich, dann gedeiht der Garten natürlich und wie von selbst. Das gilt für den echten Garten, kann aber auch metaphorisch auf das unternehmerische Umfeld übertragen werden.
Wer sich nur auf die kommende Ernte im Garten oder im Unternehmen konzentriert, arbeitet weder mit Sorgfalt noch mit Freude und bringt sich damit um den Genuss des Tuns und eines guten Ergebnisses. Innere Willenskraft und Durchhaltevermögen nähren sich aus der Hingabe an eine Sache und nicht aus purem Fleiß. Dann lassen wir uns nicht von der Vielfalt an Aufgaben verwirren, sondern bleiben auf das Richtige fokussiert.
Durchhaltevermögen ist immer dann leicht, wenn sie einer Leidenschaft entspringt. Nur dann hat sie eine treibende und unterstützende Energie, die uns bereits auf dem Weg zum Ziel Freude bringt. Denn nicht die Tatsache, am Ziel anzukommen, ist entscheidend, so sagen es die Shaolin; sondern wichtig ist es, die Reise zu genießen und dabei jeden Tag an sich zu arbeiten. Willenskraft macht diese Reise erst möglich. Wer sich auf diese Weise permanent verbessert, wird eines Tages der Beste, der er oder sie sein kann.
Ihre Kombination aus westlichen Coachingansätzen und der Weisheit der Shaolin ergibt ein sehr effizientes Werkzeug für Unternehmen. Sehen wir das richtig, dass es dazu einer ganz besonderen Haltung bedarf? Und wenn ja, wie zeigt sich diese Haltung?
Das ist richtig, dies bedarf einer speziellen Haltung! Die innere und äußere Haltung ist ein sehr kraftvolles und machtvolles Kommunikationsmittel, das wir nützen sollten.
Zum Beispiel: Wir hören etwas, spüren aber eine völlig andere Energie. Dieses Spüren ist sehr viel vordergründiger als die gehörten Worte. Die Haltung unterstreicht also die Worte – oder streicht sie durch! Sie ist wie ein Spiegel, der die Einstellung uns selbst und anderen gegenüber reflektiert. Wer seine innere Haltung versteht und weiß, wie er wirklich ist, muss sich und anderen keine Lügen über sich selbst erzählen.
Ihre wahre äußere Haltung definiert sich über Ihre innere Einstellung – das richtige Maß an Selbstachtung, Selbstvertrauen, Ruhe und Präsenz. Dieser Zustand entsteht nicht plötzlich oder verschwindet wie der Wind, der eben den Sand aufgewirbelt hat. Er manifestiert sich und vertieft sich nach und nach durch die Entwicklung Ihrer Persönlichkeit, Ihrer Tugenden, durch Ihre Erfahrungen und Ihr Wissen.
Sie mögen Ihren Geist belügen, aber Ihr Körper lässt sich niemals belügen. Wer nicht überzeugt oder voller Selbstvertrauen auftritt, das aber verbal kundtut, den entlarven Außenstehende und sind verständlicherweise nicht bereit, ihm mit Überzeugung zu folgen oder zum Beispiel etwas von dieser Person zu kaufen.
Über die Haltung zeigt sich, ob sich jemand mit Leichtigkeit bewegt oder sich anstrengt. Wenn wir uns gegen das eigene Naturell bewegen, verschwenden wir Unmengen an Kraft und Energie, weil es uns nicht ans Ziel führt. Die richtige Haltung ist also speziell für die Leader in einem Unternehmen eine essenzielle Tugend.
Sie wirken in Ihrem Tun sehr gelassen. Kann man das auch bei Ihnen lernen?
Da muss ich Sie leider enttäuschen. Es gibt keine generelle Anleitung, um gelassener zu werden. Denn wir können auch nicht mit dem Verstand danach streben. Echte Gelassenheit stellt sich nämlich erst dann ein, wenn wir losgelassen haben. Mir gelingt es immer öfter, gelassen zu sein. Aber auch ich muss mich ab und zu wieder durch starke Selbstführung auf den Pfad der Gelassenheit zurückführen.
Ein gelassener Mensch tut, was er tut, weil es ihm Erfüllung bringt, und nicht, weil er eine Belohnung dafür erhält oder die Erwartungen anderer befriedigt. Nicht, weil er auf Sicherheit wert legt, sondern weil er etwas bewegen will. Er will der Beste werden, der er sein kann – dieser Wunsch wird jedoch nicht aus dem Ego heraus gespeist. Ein solcher Mensch ist selbst der Maßstab seines Handelns und tut mit Gelassenheit, was die jeweilige Situation verlangt. Achtsamkeit zu leben ist die Grundlage von Gelassenheit, und hier schließt sich auch wieder der Kreis zur schon erwähnten Meditation. Gelassenheit ist auch mit Sicherheit kein Zustand, den man einmal erreicht: Gelassenheit ist ein Lebensprogramm, an dem wir alle immer wieder arbeiten sollten.
Was sind Ihre wichtigsten Tipps für Führungskräfte auf dem Weg zur Achtsamkeit?
Es mag einfach klingen, wird aber leider in der Praxis noch immer nicht überall in den Führungsetagen so gesehen: Sich der Tatsache bewusst zu sein, dass das entscheidende Erfolgselement in einem Unternehmen immer die Mitarbeiter sind. Je effizienter die Führungskräfte sich selbst führen können, desto besser können sie auch nach außen führen. Um eine erfolgreiche Führungskraft zu sein, bedarf es neben dem notwendigen Fachwissen einer starken Selbstführungskompetenz. Wer sich selbst wirklich diszipliniert führt, kann gar nicht anders, als sich in Richtung einer erhöhten Achtsamkeit zu entwickeln.
Ein zweiter wichtiger Schritt ist dieser: Aufgrund von falschem Ehrgeiz, Neid, Erwartungsdruck, Aggression oder Konsumzwang arbeiten Führungskräfte oft weit unter ihrem wahren Potenzial. Da sie aus dem defizitären Bereich heraus agieren, sind sie zwar leistungsfähig, aber persönlich nicht zufrieden. Es gilt für sie also zu lernen beziehungsweise sich zu entscheiden und sich zu engagieren, ab jetzt stets das Beste zu geben – und das jeden Tag ein bisschen mehr. Ohne Verbissenheit und starres Hinarbeiten auf rein monetäre Erfolge.
Und der meines Erachtens besonders wichtige dritte Punkt ist es, stets das momentan Beste – auch und besonders auf der persönlichen und zwischenmenschlichen Ebene – zu geben. Denn wer sich selbst und seine Mitarbeiter ständig über- oder unterfordert, erzeugt Angst, Frust oder Langeweile und zerstört jeglichen Raum für kreative Innovationen und nachhaltigen Erfolg. Eine solche Haltung schädigt ein Unternehmen mittel- und langfristig enorm. Gibt hingegen eine Führungskraft ihr Bestes, weil sich ihre Arbeit nicht wie eine stete Sisyphosaufgabe anfühlt, sondern weil sie tagtäglich und immer wieder aufs Neue das eigene Potenzial voll ausschöpft, ändert sich alles. Eine solche Führungskraft bleibt im Modus der Neugierde, ist von Offenheit und Entwicklungsbereitschaft geprägt und agiert völlig frei von Vorurteilen. Wer das schafft, ist in der Umsetzung des Shaolin-Gedankengutes schon recht weit gediehen und weiß instinktiv, dass das momentan Beste auch immer das Richtige ist!
Vielen Dank, Herr Gappmayer, für die interessanten Ausführungen darüber, wie wahrer unternehmerischer Erfolg entsteht und was Willenskraft und Durchhaltevermögen wirklich bedeuten. Auch Ihre Tipps zur Achtsamkeit sind gerade auch für Führungskräfte besonders hilfreich. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg – und natürlich Freude bei der Umsetzung Ihres Konzeptes in vielen weiteren Unternehmen!
Das Interview mit Richard Gappmayer führte Oliver Foitzik, Herausgeber des Wirtschafts- und Mittelstandsmagazins AGITANO sowie Geschäftsführer der FOMACO GmbH.
Link zum Originalartikel auf www.agitano.com