Viele Bereiche unseres Lebens sind nun einmal fragil. Die Frage, die sich dazu stellt: Was tun? Wie gehen wir damit um, dass vieles in unserem Leben unsicher ist – bedroht von Veränderungen oder bereits völlig erschüttert von plötzlichen Zusammenbrüchen?
Nicht jeder kann sich auf unsicherem Boden vertrauensvoll vorwärtsbewegen.
Nicht jeder sieht die Chancen, die im Risiko liegen. Nicht jeder nimmt Veränderungs-Situationen als Entwicklungsmöglichkeit mit Freude an. Ganz im Gegenteil: Die Mehrheit der Menschen hat Angst vor Situationen, die Unsicherheiten mit sich bringen.
Ist es uns möglich, uns fit zu machen für das, was kommt, für das Ungewisse? Und wenn ja, was braucht es dazu?
In Zeiten ungewöhnlicher Unsicherheit
In den letzten Jahrzenten beziehungsweise Jahrhunderten sind sehr viele fundierte Überlieferungen zusammen gebrochen – Überlieferungen in Regierungsformen, in familiären und sozialen Leben, in wirtschaftlicher Hinsicht und im religiösen Glauben. Immer weniger werden auch die Dinge und Werte, die wir als absolut richtig, wahr und allzeit gültig betrachten können. Die sicheren Felsen, an die wir uns bisher immer klammern konnten, scheinen im Laufe der Jahre immer mehr zu schwinden, sie driften weg von uns und entfernen sich endgültig.
Große Unsicherheiten gab es schon immer, in allen geschichtlichen Zeitaltern und Jahrhunderten. Daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Diese Unsicherheiten und Risiken sind nicht weniger geworden – sie haben nur ihr Erscheinungsbild verändert.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der ständig alles im Fluss zu sein scheint, in der sich Veränderungen mit einer so hohen Geschwindigkeit vollziehen, dass wir den Überblick zu verlieren drohen. Das ängstigt und lähmt.
Ich weiß, dass ich nichts weiß
Das schrieb schon Sokrates und warnte davor, zu viel Vertrauen in das eigene Wissen zu haben.
Vor einigen Jahrzenten starteten die Menschen ihre berufliche Karriere in der Überzeugung, dass sie in dem gewählten Job alt werden könnten. Heute beginnen viele junge Leute ihr Berufsleben mit extremer Unsicherheit. Nicht wissend, wie lange dieser Arbeitsplatz sicher ist, nicht wissend, ob dieser Job sie und ihre zukünftigen Familien auch ausreichend ernähren kann, nicht wissend, wie lange es diese Art der Tätigkeit überhaupt noch geben wird. Die Welt dreht sich schneller in fast jeder Hinsicht, neue Branchen und Berufsfelder entstehen.
Daraus resultiert, dass Berufskarrieren nur mehr begrenzt planbar sind. Somit verläuft auch der Weg zu Partnerschaft, Familie und Kindern auf eher unsicherem und nicht so leicht planbarem Terrain.
Konnten wir bislang darauf vertrauen, dass unser Geld in der Bank sicher war und akzeptable Zinsen abwarf, so müssen wir uns heute fragen, ob wir nicht durch die Eurokrise und gierige Märkte um unser Erspartes gebracht werden. Auch die Angst, im Alter nicht ausreichend abgesichert zu sein, nimmt dramatisch zu.
Laut einer aktuellen Studie fürchtet sich jeder fünfte Berufstätige unter 30 Jahren vor Altersarmut und jeder zweite Berufstätige weiß nicht, was er persönlich dagegen tun könnte.
„Kultur der Unsicherheit“
Um die Herausforderungen des Lebens erfolgreich bewältigen zu können, brauchen wir ein gewisses Maß an Überschaubarkeit, Vorhersehbarkeit und Stabilität. Wir wollen wissen, mit welcher Situation wir es zu tun haben, was als Nächstes zu erwarten ist, was wir im Detail tun können und mit welchen Konsequenzen dieser Handlungen zu rechnen ist.
Droht der Verlust von Kontrolle und Vorhersagbarkeit, führt dies zu Hilflosigkeit. Um dieses schwer auszuhaltende Gefühl zu vermeiden, halten viele Menschen an der Vorstellung fest, dass das Leben unbedingt berechenbar und sicher sein muss. Das Gegenteil trifft zu! Gerade heute ist es so immens wichtig, eine „Kultur der Unsicherheit“ zu entwickeln und intensiv zu leben.
Experten sollen dann in Unsicherheitssituationen Orientierung und Rat liefern. Sie sind an die Stelle der früher Sinn und Orientierung gebenden Instanzen wie Familie und Kirche getreten und werden immer dann zu Hilfe gerufen, wenn die Unsicherheit unerträglich wird.
Doch, der beste Expertenrat kann einem Menschen nicht dabei helfen, die vielen Risiken seines Daseins aufeinander zu beziehen, richtig einzuschätzen und daraus die Kraft zum Wagnis zu gewinnen. Was also kann helfen? Können wir lernen, mit Unsicherheit sicher umzugehen?
Die Grenzen des eigenen Wissens anerkennen
Menschen mit einer geringen Ambivalenztoleranz streben in der Regel danach, ihre Unsicherheit schnell zu beenden: indem sie sich mit einfachen Antworten zufriedengeben, indem sie das Schwarz-Weiß-Denken pflegen. Sie wollen wissen: „So ist es“, sie wollen simple Tatsachen, sie wollen Zweifel und Misstrauen nicht aushalten, sich diesen Gedanken gar nicht stellen. Wer jedoch auf diese Weise Sicherheit finden möchte, zahlt einen hohen Preis: Indem wir neue Fragen und neues Gedankengut, sowie die damit logischerweise einhergehende Unsicherheit ignorieren, verzichten wir meist darauf, ein wirklicher weiser Mensch zu werden.
Weise Menschen wissen sowohl um die Begrenztheit ihres Wissens als auch um die Begrenztheit der Sicherheit, mit der Probleme gelöst werden können. Weisheit bedeutet dabei, eine gesunde Balance zwischen Wissen und Zweifel zu halten, sowie die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten nicht zu überhöhen, aber auch nicht zu ignorieren. Beides führt zu Verunsicherung und Angst.
Wir können der Unsicherheit nie entkommen. Hier auf diesem Planeten zu sein und zu wirken, bringt automatisch ständige Unsicherheit mit sich. Wir wissen nie, was als Nächstes geschieht. Wir erkennen unser Leben, unser Schicksal, nun einmal nur von rückwärts nach vorne, niemals jedoch in die andere Richtung. Diesem Dilemma entkommen wir nicht. Niemals. Aber, wenn wir es schaffen, vertrauensvoll und sicher mit unseren Unsicherheiten umzugehen, dann gibt es gar kein Dilemma. Dann gibt es nur Vertrauen. Nämlich das Vertrauen in uns selber, das, was auch immer kommen mag, mit innerer Stärke und Durchsetzungskraft zu meistern.
Ich wünsche Ihnen viel Freude auf Ihrem Weg der positiven Unsicherheit!